Wenn der Storch einmal recht gut aufgelegt ist und ein recht schönes Mädel in die Stadt bringen will, kein Alltagsmädel, sondern ein recht schönes, eines mit den dunklen Augen, die doch nicht schwarz sind, von denen man überhaupt nie herausbringt, welche Farbe sie haben, und mit dem dunkelblonden Haar, nicht blond und nicht schwarz, sondern eben boznerisch dunkelblond - dann fliegt er nicht zu den Talfertümpeln neben der Grieser Wassermauer und nicht hinaus nach Kampill, wo der Eisack oft träg und langsam in einem Seitenarm dahinlungert, nein, dann fliegt er hinüber zum Kalvarienberg. Dort oben steht hart neben der steinernen Treppe, die zum Kirchlein emporführt, neben dem Weg eine kleine Kapelle. Und in der Kapelle ist ein Brunnen mit zwei Wasserbecken, und aus dem linken Becken - rechts schwimmen die Buben - holt dann der Storch seit alters her die schönen Mädeln und bringt sie hinunter in die Stadt.
Und außer der Mutter und dem Vater weiß es noch niemand, wie schön das Mädel ist und dass sie der Storch vom Kalvarienberg heruntergeholt hat.
Aber lass dir nur Zeit, da vergehen keine tausend Wochen, und dann weiß es auf einmal die ganze Stadt, da sieht es dann jeder, der Augen hat zu sehen. Und es hat schon mancher ungläubig den Kopf geschüttelt und nicht begreifen können, wie ein Menschenkind so schön sein kann.
Und nur diesen ahnungsvollen Zweiflern will ich meine Geschichte erzählen, die andern verstehen sie doch nicht.
Es ist schon lange, lange her. Damals, als der Rosengarten noch ein Garten voll blühender Rosen war und das Königlein Laurin dort oben die Krone trug, da blühten auf dem Schlern drüben Rosmarin, Gilgen und Nelken. Der kleine König hat oft voller Neid und Grimm von den Zinnen seiner Rosenburg hinübergesehen auf die Pracht dieser Blumen, und mancher tollpatschete Riese, manch raunziger Zwerg und nicht zuletzt die Buben von Seis und Völs versuchten es, mit den saligen Fräulein anzubandeln, die im Schlerngarten die Blumen zu pflegen hatten. Und die Riesen und Zwerge, die Seiser und Völser haben ganz ähnlich geseufzt und ähnlich gejammert, wie heutzutage noch dann und wann die Bozner Buben jammern.
Wie sie aber dem König Laurin die Rosen zertreten haben und ihn selbst gebunden hinunterführten in das Tal, da hat eine von den Saligen, die gerade nach Tiers hinabgestiegen war mit einem Nelkenstöckl für die alte, kranke Viglin, über das arme Königlein gelacht. Da ist Laurin ganz außer sich gekommen vor Wut und Zorn und hat den Schlerngarten verflucht und die schönen Gärtnerinnen in Hexen verwandelt. Damals ist der Schlern zu dem wilden Berg geworden, der er noch heute ist, und damals sind die blauen Blumen entstanden, die nach der Blüte die grauen Zottelhaare ansetzen - die Schlernhexen.
Und so hätte es bleiben müssen bis an das Ende der Welt. Denn welcher Pater hätte den Zauber brechen sollen? Hat doch keiner gewusst, dass die blauen Blumen verwunschene Salige sind. So hat sich auch kein Pater um die Schlernhexen gekümmert, höchstens dass einer, der auf den Schlern gekommen ist, um Messe zu lesen in der Kassiankapelle, ein paar solcher Blumen mit seinen Bundsohlen zertreten hat. Doch davon sind sie auch nicht entzaubert worden. Da hat sich denn der Schlernwind ins Zeug gelegt. Das ist ein großmächtiger, bärtiger Riese, nicht eben recht freundlich, aber er hat ein gutes Herz.
Der hat im Herbst einmal zu schnaufen und zu blasen angefangen, dass den armen Blumen oben am Schlern ganz angst und bange wurde. Doch je mehr sie gezittert haben vor Schrecken und Bangnis, desto mehr hat der Schlernwind geblasen und gestürmt.
Die Schlernhexen haben sich kaum mehr am Boden halten können, so wild hat er getan, und hat der einen die Haare ausgerissen, der andern den ganzen Kopf davon - husch und wu-ih, wu-ih - hoch hinauf in die Luft bis zu den Wolken und dann wieder tief hinab bis ins Tal.
Als der Schlernwind mit den Hexenhaaren lang genug gespielt hatte, hat er sie grob und leichtsinnig neben der Heiliggrabkirche am Kalvarienberg zu Boden geworfen.
Im nächsten Frühjahr hat es seltsame, neue Blumen gegeben oben am Kalvarienberg.
Im Herbst ist dann die Stampf-Nandl immer hinauf, um das Unkraut auszustechen rings um die Heiliggrabkirche herum innerhalb des steinernen Geländers, und da hat die Nandl manche Schlernhex aus dem Boden gezupft und in ihren Korb geworfen, und abends hat sie den Korb in den Brunnen geleert drinnen in der Kapelle. Sie hat sich wohl oft gewundert, wohin der ganze Haufen Unkraut vom Vortag gekommen sei, wenn sie am nächsten Abend wieder einen Korb voll in den Brunnen geschüttet. Doch das Unkraut war weg, das war für sie die Hauptsache, und weiter hat sie sich keine Gedanken gemacht, die Nandl.
Wisst ihr aber, was mit den Schlernhexen in der Kapelle geschehen ist? Die sind allesamt wieder in ganz kleine, winzig kleine Salige verwandelt worden. An dem heiligen Ort hat sich der Fluch des Königleins nicht halten können.
Und wenn der Storch einmal recht gut gelaunt ist und ein recht schönes Mädel in die Stadt bringen will, dann fliegt er nicht zu den Talfertümpeln neben der Wassermauer und nicht hinaus nach Kampill. nein, dann fliegt er hinauf auf den Kalvarienberg und holt uns eine von den Saligen. die früher einmal, vor langen, langen Jahren, am Schlern oben die Blumen gepflegt haben und die später dann - das darf man nie vergessen - in Schlernhexen verzaubert waren.
Quelle: Laurins Rosengarten, Sagen aus den Dolomiten, Franz S. Weber, Bozen 1914, S. 49-53.